ALLES HEIMISCH?
Indigen, archäobiotisch, neobiotisch: Ab wann ist eine Art bei uns heimisch? Ist sie heimisch, wenn sich niemand mehr erinnern kann, wann sie gekommen ist? Ist sie heimisch, wenn sie sich hier fortpflanzt und neue Bestände bildet? Und was bedeutet ein willkürlich festgelegter Zeitpunkt wie die Wiederentdeckung Amerikas durch Kolumbus im Jahr 1492? Arten, die während der letzten Kaltzeit hier lebten oder nach ihrem Ende wieder selbständig eingewandert sind, werden als indigen, also „einheimisch“ bezeichnet. Arten, die vor 1492 von Menschen mitgebracht wurden, bezeichnet man als Archäobiota. Alle Arten, die in der Zeit danach mit Hilfe des Menschen in die Region kamen, gelten als „neue Arten“, also als Neobiota. Welche Art ist also „heimisch“? Suchen Sie nach der Antwort auf diese Frage auf den Tafeln in den runden Möbeln.
Kanadische Goldrute Solidago canadensis

© Dr. Peter Müller
Status
Neobiont, invasiv
Verbreitung
Ursprünglich in den USA und im Süden von Kanada; in Europa, Australien und Neuseeland als Neophyt eingeführt.
In Deutschland
Erste verwilderte Vorkommen 1834 in Deutschland zwischen Müllheim und Vögisheim. Heute kommt sie fast flächendeckend in Deutschland vor.
Ausbreitungsweg
Seit 1645 in England bekannt. Bereits im 19. Jahrhundert als Zierpflanze und Bienenweide weit in Deutschland verbreitet.
Lebensweise
Die ausdauernde Pflanze wird 50 bis 250 cm hoch und wächst an sonnigen Standorten auf verschiedenen Böden. Verbreitung durch Samen und Wurzelsprosse. Diese bilden sehr dichte Bestände mit über 300 Sprosse pro m².
Auswirkung auf Ökosysteme
Breitet sich häufig stark auf Brachflächen, aber auch in Halbtrockenrasen, Streuwiesen und Auen aus. Dort kann sie gefährdete Pflanzen und Tiere verdrängen oder die natürliche Sukzession behindern. Andererseits gute Futterquelle für blütenbesuchende Insekten.
Maßnahmen
Nur dort sinnvoll, wo wertvolle Biotope gefährdet sind. Über Jahre zweimal im Jahr mähen oder mit Rhizomen ausreißen. Traditionelle Landnutzung ist die beste Strategie gegen die Ausbreitung. Weitere Ansiedlungen verhindern.
Europäisches Reh Capreolus capreolus

Michalicenko (Standardlizenz, shutterstock.com)
Status
Indigen
Verbreitung
Fast in ganz Europa verbreitet mit Ausnahme von Island und Irland sowie im Vorderen Orient.
In Deutschland
Seit der Günz-Vereisung vor etwa 700.000 Jahren ist das Reh durchgehend in Europa und auch auf dem Gebiet von Baden-Württemberg nachgewiesen.
Ausbreitungsweg
Die letzte Vereisung in Mitteleuropa verdrängte das Reh in Rückzugsgebiete im Mittelmeerraum. Die Wiederbesiedelung Richtung Norden nach dem Ende der letzten Kaltzeit erfolgte nur langsam.
Lebensweise
Rehe sind äußerst anpassungsfähig und bevorzugen Randzonen krautreicher Laub- und Laubmischwälder sowie Wiesen und Felder. Sie leben einzeln oder in kleinen Gruppen. Die Wiederkäuer sind hauptsächlich in der Abend- und Morgendämmerung aktiv.
Auswirkung auf Ökosysteme
Da Rehe im Wald gerne die eiweißreichen Jungtriebe von Laubbäumen fressen, können sie die natürliche Waldverjüngung gefährden. Wichtigste Beutetiere für Wolf und Luchs.
Auswirkungen auf den Menschen
Rehe spielen seit ihrer Wiederbesiedlung Mitteleuropas eine wichtige Rolle als Jagdbeute und unterliegen heute dem Jagdrecht.
Mandarinente Aix galericulata

Elenarts (Standardlizenz, shutterstock.com)
Status
Neobiont
Verbreitung
Nordostchina und Japan, dort Bestand stark abnehmend. Weltweit in Parks und Zoologischen Gärten als Ziergeflügel; in einigen europäischen Ländern als Neozoon verwildert.
In Deutschland
Seit Ende der 1920er Jahre in Berlin, seit Ende der 1950er Jahre in Baden-Württemberg Vorkommen in der Natur. In Baden-Württemberg vermutlich mehr als 100 freilebende Brutpaare, bundesweit mehr als 1000.
Ausbreitungsweg
1745 erstmals nach Europa als Ziergeflügel eingeführt. Gezielte Ansiedlungen im Freiland in verschiedenen Regionen sowie Vermehrung entflogener Ziervögel aus öffentlichen und privaten Vogelparks; das Ausbreitungspotential ist offenbar gering.
Lebensweise
Mandarinenten zeigen in Mitteleuropa kein Zugverhalten. Die Vorkommen finden sich häufig in der Nähe von Städten und in urbanen Lebensräumen wie Parks und Grünanlagen. Die Höhlenbrüter nutzen als Neststandort sowohl Spechthöhlen als auch Nistkästen, die für andere Vogelarten vorgesehen sind, sowie Nischen und Höhlungen an Gebäuden. Die Vögel haben keine negativen Auswirkungen auf die einheimische Artenvielfalt.
Eurasischer Luchs Lynx lynx

© Dr. Nicola Heckeberg
Status
Indigen
Verbreitung
Ursprünglich in allen waldreichen Gebieten Europas und Asiens nördlich des Himalayas; heute in weiten Teilen des Gebietes ausgerottet.
In Deutschland
Luchsbestände gibt es wieder im Bayrischen und Pfälzer Wald sowie vom Harz bis Nordhessen. Im Schwarzwald streifen bislang nur männliche Einzeltiere umher.
Ausbreitungsweg
Mitte des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts war der Luchs in ganz Deutschland ausgerottet. Die Rückkehr gelang durch Wiederansiedlungsprojekte und durch Zuwanderung aus Nachbarländern.
Lebensweise
Der ortstreue, dämmerungs- und nachtaktive Anschleichjäger benötigt ausgedehnte, deckungsreiche Waldgebiete. Das Nahrungsspektrum reicht von der Maus bis zum Elchkalb mit einer Präferenz für Rehe. Übergriffe auf Haustiere sind selten.
Auswirkung auf Ökosysteme
Als Spitzenprädator hat der Luchs eine wichtige Funktion bei der Gesunderhaltung der Bestände seiner Beutetiere.
Auswirkungen auf den Menschen
Der Luchs galt als schädlicher Jagdkonkurrent, heute hat er ganzjährige Schonzeit. Für den Menschen ist er ungefährlich.
Maßnahmen
Für die erfolgreiche Ansiedelung sind genügend große Lebensräume, intensive Öffentlichkeitsarbeit und unbürokratische Entschädigung von Haustierbesitzern entscheidend.
Klatschmohn Papaver rhoeas

sportoakimirka (Standardlizenz, shutterstock.com)
Status
Archäobiont
Verbreitung
Ursprünglich vermutlich in Nordafrika und Vorderasien beheimatet. Heute weltweit im Ackerbau der gemäßigten Zonen verbreitet.
In Deutschland
Archäologischer Erstnachweis ca. 4.000 v. Chr.; in ganz Deutschland verbreitet, häufig ausgesät.
Ausbreitungsweg
Der Klatschmohn kam in der Jungsteinzeit mit dem Getreideanbau als Verunreinigung der Getreidekörner vom Mittelmeergebiet nach Mitteleuropa.
Lebensweise
Die einjährige Pflanze wird 25 bis 90 cm hoch und wurzelt bis einen Meter tief. Einzelblüten halten 2–3 Tage. Die Samen werden durch Wind verbreitet. Sie kommt überwiegend in Getreidefeldern, aber auch an Wegrändern und auf Schuttflächen vor. Starker Rückgang in Getreideäckern durch Einsatz von Herbiziden.
Auswirkung auf Ökosysteme
Reiches Pollenangebot für blütenbesuchende Insekten, aber kein Nektar.
Auswirkungen auf den Menschen
Im Milchsaft sind schwachgiftige Alkaloide enthalten. Bei zu großem Verzehr sind diese auch für Weidetiere giftig. Der Farbstoff der Blütenblätter wurde früher zu Herstellung von Tinte genutzt.
Sonstiges
Der deutsche Name „Klatschmohn“ soll auf die papierdünnen Blüten deuten, die beim Wind gegeneinander klatschen.